Die Idee zum „Spulbild“ ist mir in den 90er-Jahren bei einem Artikel über Zieleinlauf-Kameras gekommen (bspw. Omega Photosprint).
Da ich keine anderen Fotos dieser Art kenne, habe ich mal selber den Begriff „Spulbild“ dafür gewählt.
Funktionsprinzip
Das Grundprinzip ist eine fix montierte Kamera mit einer schlitzförmigen vertikalen Filmbühne an der horizontal kontinuierlich der Film vorbei bewegt wird. Die Kamera wird so ausgerichtet, dass die Schlitz-Filmbühne genau die Ziellinie wiedergibt. Im Gegensatz dazu wird bei einer Filmkamera eine Abfolge einzelner Bilder der Szene aufgenommen, somit der Film für jedes einzelne Bild kurz angehalten. Solch eine Zieleinlaufkamera zeigt daher nicht ein Foto des Moments des Zieleinlaufs, sondern die zeitliche Abfolge auf der Ziellinie. Läufer sehen darauf mitunter etwas seltsam verzerrt auf, da beim Laufen nicht alle Körperteile gleichförmig über die Ziellinie bewegt werden.
Vorstellungsmäßig kann man sich diese Aufnahmetechnik so verdeutlichen, als würde man aus jedem Einzelbildes eines Films immer denselben sehr schmalen vertikalen Bildausschnitt horizontal aneinander gereiht zu einem Foto zusammenzusetzen – das wäre wohl auch die einzige Möglichkeit diesen Effekt mit einer digitalen Kamera nachzuahmen.
Umsetzung
Um denselben Effekt der Zieleinlauf-Kamera zu erzielen, habe ich einen analogen rein mechanischen Kleinbildfilm Spiegelreflex-Fotoapparat genommen. Wichtig ist, dass dieser Fotoapparat eine Film-Rückspulkurbel hat, mit der man den Film während einer Langzeitbelichtung bei offenem Verschluss und eingestellter Arbeitsblende zurück spulen kann. Somit ist auch wichtig, dass man am Objektiv die Schärfe und vor allem die Blende manuell einstellen kann, ohne die Blende über die Kamera zu steuern. Eine Langzeitbelichtung muss auch während dem Rückspulen des Films möglich sein.
Vorbereitet wird die Kamera indem zwei dünne Kartonstreifen in der Höhe eines Kleinbildfilms derart über die Filmbühne gelegt werden, dass lediglich ein schmaler vertikaler Streifen, etwa 1mm breit, frei bleibt (unter der Annahme, dass der Film an der Filmbühne horizontal vorbei läuft, was bei Halbformat-Kameras bspw. nicht der Fall ist). Die federnd gelagerte Andruckplatte an der Filmfachklappe lässt so viel Spielraum, dass sich die Kartonstreifen plus Film der Dicke nach ausgehen.
Nun wird der Film eingelegt, wie üblich in der Kamera eingespannt und einmal komplett unbelichtet „durchfotografiert“. Dafür stellt man kurze Belichtungszeit und kleine Blende ein, lässt den Objektivdeckel am Objektiv oder sogar direkt den (lichtdichten) Bajonettdeckel an der Kamera, um während der „Belichtungen“ keinen Lichteinfall auf dem Film zu haben.
Nachdem die 24 oder 36 Aufnahmen ohne Film-Belichtung „verschossen“ wurden, montiert man einen feststellbaren Kabelauslöser am Kameraauslöser und drückt die Rückspultaste an der Kamera (wie wenn man den Film ganz normal zurückspulen würde).
Für diese Aufnahmetechnik eignen sich besonders horizontal bewegte Objekte, Autos, Straßenbahn, Zug, einzelne Fußgänger, etc.
Für die eigentliche Aufnahme setzt man die Kamera auf ein Stativ, setzt das gewünschte Objektiv an die Kamera (ohne Objektivdeckel), stellt die Motivschärfe ein (die geringe Abweichung des Filmauflage-Maßes durch die Kartons wird durch große Schärfentiefe kompensiert), stellt eine kleine Arbeitsblende (ca. 8.0-13) ein und wählt Langzeitbelichtung (BULB Belichtungszeit) aus. Nun wird der Kabelauslöser gedrückt und festgestellt, da die Rückspultaste bereits gedrückt wurde, kann der Film nun langsam, während der Belichtung, mit der Rückspulkurbel zurück gespult werden und so das „Spulbild“ erzeugt werden. Beim Kurbeln ist zu beachten langsam und möglichst gleichmäßig zu kurbeln, schließlich wird die Bellichtungszeit am Film dadurch bestimmt wie lange der Film braucht den ca. 1mm breiten Spalt zu passieren. Hier gehört auch etwas Übung dazu bei welcher Film-Empfindlichkeit, eingestellter Blende und Lichtverhältnissen welche Kurbelgeschwindigkeit nötig ist. Außerdem ist der Filmwickel am Rückspuldorn der Filmpatrone zu Beginn noch nicht so dick wie am Ende, daher sind die ersten Aufnahmen etwas schneller zu spulen als die letzten Aufnahmen. Auch wenn ich meine Experimente mit dieser Technik mit Diafilmen (E6 Entwicklungs-Prozess) durchgeführt habe, so empfehle ich eher Negativfilme (C41 Entwicklungs-Prozess) zu verwenden, da die gewöhnlich einen größeren Belichtungsspielraum zulassen. Am Ende der Belichtung beendet man das Rückkurbeln des Films und löst wieder den Kabelauslöser, so dass der Verschluss der Kamera wieder schließt.
Für die nächste Aufnahme wiederholt man die Prozedur, man sollte jedoch beachten vorher die Rückspulkurbel vorsichtig wieder etwas vorzuspannen, da sich im Ruhezustand der bereits aufgewickelte Film wieder etwas entrollen kann – mit etwas Gefühl merkt man gewöhnlich ab wann der Film wieder über den Filmbühnen-Spalt bewegt wird, und etwas Abstand am Film zwischen den Aufnahmen ohne Belichtung kann ja auch, für die nachgelagerte Verarbeitung des Films, nicht schaden.
Jede Aufnahme wird derart leicht mal 2-5 (oder auch mehr) Kleinbild Fotos lang. Da die Rückspulgeschwindigkeit durch das händische Kurbeln nicht konstant ist und der Film mitunter etwas ruckartig an den Kartons vorbei geführt wird, entstehen in der Aufnahme etwas unterschiedlich stark belichtete vertikale Streifen sowie „zeitliche“ Verzerrungen. Man beachte auch, dass eigentlich „kein“ Hintergrund abgebildet wird (und somit ganz automatisch auch eine Freistellung des bewegten Objekts wie mit großer Blende oder wie beim Mitziehen der Kamera passiert) , da ja immer durchgängig derselbe schmale Ausschnitt belichtet wird.
Der Film sollte beim Entwickeln nicht geschnitten werden, sonst werden evtl. gelungene Aufnahmen vom Labor zerschnitten – bitte entsprechenden Vermerk „Film NICHT schneiden“ beim Einsenden ins Labor nicht vergessen!
Als Variante dieser Aufnahmetechnik kann man während der Belichtung zugleich mit dem Film-Rückspulen auch die Kamera am Stativkopf langsam herum drehen. So imitiert man quasi eine 360° Kamera. Dafür sollte man einen Video-Stativkopf nutzen, da dieser normalerweise leichter und gleichmäßiger um die vertikale Achse gedreht (Pan-Bewegung) werden kann. Diese Variante benötigt dann schon etwas Übung, da gleichzeitig Kurbeln und Kameradrehen durchaus herausfordernd sein kann. Außerdem Vorsicht bei 3-Bein-Stativen, da kann man beim Drehen der Kamera am Stativkopf, wenn man selber während der Aufnahme um das Stativ herum geht, schnell mal ein Stativbein im Weg stehen – dann droht einerseits eine verpatzte Aufnahme, andererseits auch Stolpergefahr! Für diese Variante eignen sich statische Panorama Motive. Auch eine Person könnte so mehrfach auf dem Foto auftauchen, indem diese, nachdem die Kamera bei ihr vorbei gedreht wurde, hinter der Kamera um das Stativ herum läuft und sich wieder an anderer Stelle im Motiv positioniert.
Eine weitere Variante wäre den Spalt mit den Kartons an der Filmbühne nicht senkrecht sondern in einem Winkel verlaufen zu lassen, so werden Objekte „vertikal zeitlich verzerrt“ am Bild abgebildet.
Links
Omega Photosprint OPS 1
Funktionsprinzip einer Zieleinlauf Kamera
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